Aufgeben ist keine Option – Schritt für Schritt in ein neues Leben
Erzähl uns gerne etwas zu deinem bisherigen Werdegang.
Im Alter von vier Jahren habe ich mit dem Rollsport begonnen, bei dem ich die folgenden Jahre recht erfolgreich war. Nach einiger Zeit habe ich immer häufiger Schmerzen in beiden Knien bekommen und als ich 15 war wurden Arthrose 3. Grades sowie Meniskus-, Knorpel- und Bänderschäden festgestellt.
Mit 17 Jahren musste ich dann zum ersten Mal am rechten Knie operiert werden. Das war dann der ausschlaggebende Punkt mich von meiner Leistungssportkarriere zu verabschieden, was wirklich ein harter Schlag für mich war.
Bis 2014 wurde ich alle paar Jahre an Bändern, Meniskus und den Knorpelschäden operiert.
Nach einer dieser Operationen wurde 2014 eine Arthrofibrose im rechten Knie festgestellt, also ein wachsendes, überschüssiges Narbengewebe im Gelenk. Das hat dann dafür gesorgt, dass ich in den kommenden Jahren weitere Knieoperationen durchführen lassen musste.
Bis 2021 waren es insgesamt 14 Operationen und drei Knie-Prothesen im rechten Knie sowie drei Operationen am Linken.
2021 wurde das Wort Amputation das erste Mal ausgesprochen, was mich im ersten Moment ziemlich geschockt hatte.
Ich hatte nach einer Operation mit einem Femoralis Nervenschaden zu kämpfen, vermutlich durch den Schmerzkatheter. Deshalb war ich für 12 Wochen in Bad Staffelstein zur Reha, die mit Hilfe von intensiver Physiotherapie und Neurogeräten für Fortschritte gesorgt hatte.
Ende 2021 lehnte die Krankenkasse sämtliche Therapien – dabei auch eine dringend erforderliche Motorschiene – ab und 4 Wochen später war mein rechtes Bein steif und die Schmerzen wurden zunehmend stärker. Durch die Schmerzen war ich auch auf Schmerzmittel, wie Oxycodon angewiesen. Das ist ein Opiat, bei dem 2022 festgestellt wurde, dass ich körperlich abhängig war.
Im Mai 2022 suchte ich erstmals einen Gefäßchirurgen in Bad Homburg auf und besprach eine mögliche Amputation. Trotz ethischer Bedenken aber aufgrund meiner Gesamtsituation, wollte er erforderliche Voruntersuchungen veranlassen. Im Herbst erhielt ich eine letzte Therapiemöglichkeit – eine Biofeedbacktherapie. 8 Wochen später mussten wir diese aber leider abbrechen. Trotz Muskelaufbau, wurden die Schmerzen leider mehr statt weniger.
Im Dezember stand dann meine Entscheidung zur Amputation fest, die am 07.02.2023 erfolgreich durchgeführt wurde.
Welche Einschränkungen hatten die Schmerzen im Knie für dich und dein Umfeld?
In den letzten zehn Jahren war ich keinen Tag schmerzfrei, trotz der Einnahme starker Medikamente, die ich mittlerweile wie Bonbons „gegessen“ habe, jedoch leider ohne Wirkung. Das bekam natürlich meine Familie, insbesondere mein Sohn deutlich mit. Ich konnte mich teilweise nicht selbständig in meiner Wohnung bewegen, den Haushalt nicht bewältigen, war müde. 2020 wurde mir ein Rollstuhl zur Hilfe gestellt, mit dem ich es gut anderthalb Jahre weitestgehend vermied, mich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Mein rechtes Bein war steif und meine Lebensqualität deutlich gesunken. In dieser Zeit gab es keine Urlaube oder Ausflüge mit meinem Kind und mein Sozialleben war so gut wie nicht mehr vorhanden.
Einige „Freunde“ und gute Bekannte haben sich abgewendet, wobei ich sagen muss, dass ich mich selbst auch sehr zurückgezogen habe.
Im Großen und Ganzen war es eine schwere Zeit für alle Beteiligten.
Was war der Auslöser für deine Entscheidung zur Amputation?
In erster Linie die andauernden Schmerzen und die daraus entstandene fehlende Lebensqualität und Selbständigkeit. Auch die Abhängigkeit von den Schmerzmitteln, wie die Opiate hatten darauf Einfluss. Nicht zuletzt aber natürlich mein Sohn und meine Familie.
Fiel dir diese Entscheidung sehr schwer?
Anfangs war es ein schrecklicher Gedanke, ein Körperteil sozusagen abzugeben. Ich habe mich aber zwei Jahre lang immer wieder mit dem Gedanken einer Amputation auseinandergesetzt und mich mit ebenfalls beinamputierten Menschen getroffen oder geschrieben und mich über alles informiert.
Im Dezember 2022 war meine Entscheidung dann getroffen und ich bekam den Termin. Ehrlicherweise konnte ich es kaum erwarten, dass es endlich soweit ist.
Ich hatte überhaupt keine Angst, weder vor den Phantomschmerzen, noch vor etwas anderem.
Wie haben deine Freunde und Familie auf die Entscheidung zur Amputation reagiert?
Tatsächlich sehr unterschiedlich. Mit meinem Sohn habe ich im Vorfeld viel darüber gesprochen und ihn auch nach seiner Meinung gefragt. Er sagte, es kann ja so nicht weitergehen, aber dass ich das selbst entscheiden müsse. Bei meinen Eltern und meiner Schwester gab es einen Mix aus Unsicherheit, Verständnis und Angst.
Meine besten Freunde waren in erster Linie überrascht und geschockt, obwohl sie über die vielen Knie-OPs und die Schmerzen im Bilde waren. Trotzdem haben sie die Tragweite meines Leidensdrucks nicht kommen sehen. Ich habe nie wirklich darüber gesprochen, wie schlimm es wirklich für mich ist. Leiden gehört nicht zu meinen Stärken!
Insgesamt wollten natürlich alle, dass es mir bald besser geht. Die engsten Vertrauten hielten sich auch sehr bedeckt mit Ratschlägen und Einmischung, worüber ich sehr dankbar war.
Nachdem meine Entscheidung zu 100% feststand, brachten meine besten Freundinnen mich dazu, mit meiner positiven und optimistischen Einstellung, in die Öffentlichkeit zu gehen. Seit Dezember 2022 bin ich auf Facebook, Instagram und auch mit einem eigenen Blog – der leider nicht aktualisiert ist – online. Damit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, auch wenn das erstmal ein Lernprozess für mich war, mein Innerstes so nach außen zu kehren.
Auf die Amputation an sich waren die Reaktionen zunächst abwartend. Meine Schwester Vera, Krankenschwester und Wundexpertin, war im Aufwachraum an meiner Seite. Nachdem mein Hirn vergeblich nach den bekannten Schmerzen gesucht hatte und nichts davon zu finden war, heulten wir beide erstmal vor Erleichterung. Das war eines der überwältigendsten Gefühle nach der Geburt meines Sohnes!
Alle gingen recht vorsichtig und umsichtig mit mir um, natürlich gab es von den meisten Außenstehenden sehr viel Unsicherheit, ob und wenn ja, wie man mich darauf anspricht und fragt, wie es mir geht. Das haben meine Familie und engsten Freunde auffangen dürfen, quasi als Berichterstatter.
Du warst als Kind ja schon sportlich aktiv und begeistert. Wie lebst du das nun aus? Hast du neue Sportarten für dich entdeckt?
Ich habe direkt nach der Amputation eine Bucket List geschrieben und mir vorgenommen, dass ich alles, was mich interessiert – unabhängig davon, ob ich es schonmal gemacht hatte oder nicht – zu versuchen.
Schon an Muttertag im Mai, also nur 3 Monate nach der Operation, war ich mit meinem Sohn im Kletterwald und schaffte mit Prothese erfolgreich die leichte Kletterrunde. Das war mit Abstand mein sportliches Highlight des vergangenen Jahres.
Dann habe ich während der 4-monatigen Reha noch andere Aktivitäten ausprobiert: Laufband (1 Std), Fitnessstudio, Tischtennis, Basketball, Hockey, Reiten, Schwimmen, Badminton und ich habe mit meiner Physiotherapeutin Sirtaki getanzt. 😅
Im April geht’s dann auf den Gletscher zum Skifahren. Da freue ich mich schon sehr drauf.
Ich fühle mich, als hätte man mir nach der Amputation meine Fußfesseln abgenommen. Jetzt gebe ich Gas und mache alles, was mir Spaß macht und was mich an meine Grenzen bringt.
Wie hat sich dein Leben seit der Amputation verändert?
Naja so Einiges hat sich verändert. Natürlich ist nicht immer alles positiv und toll, auch wenn ich mir dazu zwischendurch mein Lebensmotto „Aufgeben ist keine Option „, welches ich mir im Übrigen drei Wochen vor der Amputation auf den Unterarm tätowiert habe, wieder aufsagen muss.
Die alltäglichen Dinge sind nun um Einiges zeitaufwendiger als mit zwei Beinen. Es fängt schon morgens beim Aufstehen an, der Besuch im Bad, das Anziehen, etc. Man muss sich eben anders organisieren und das spontan sein, ist oft nicht mehr so gegeben.
Not macht erfinderisch hat eine ganz neue Bedeutung, wenn man sich mit Gehstützen, auf einem Bein einen Kaffee machen, das Essen von der Küche zur Couch bringen will oder mit Rucksack statt Wäschekorb in den Keller zur Waschmaschine geht. Ich könnte noch viele weitere Beispiele geben aber das würde wohl den Rahmen sprengen.
Das Wichtigste ist, ich bin weitestgehend schmerzfrei!
Und die am häufigsten gestellte Frage nach Phantomschmerzen muss ich mit Ja beantworten. Zwischendurch habe ich Phantomschmerzen, wobei ich Fentanyl als Akut-Medikation benötige, aber glücklicherweise kommt das nur selten vor. Mein rechter Fuß ist immer spürbar, aber das ist nicht unangenehm. Ich habe ihm sogar einen Namen gegeben, er heißt Tom, mein total oberflächlicher Mitläufer.
Durch den Entzug von den Opiaten, den ich noch fast komplett im Krankenhaus nach der Amputation durchgezogen habe, kann ich auch wieder etwas klarer denken und bin insgesamt wacher und besser gelaunt.
Insgesamt kann ich sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war!
Was würdest du Betroffenen in ähnlicher Situation raten?
Als wichtigsten Rat würde ich sagen: Bleibt möglichst positiv und optimistisch!
Meiner Meinung nach, spielt der Kopf die größte Rolle bei der Bewältigung allen Vorhabens nach der Amputation oder auch anderen Herausforderungen.
Es ist euer Körper und nur ihr selbst entscheidet, wann ihr was machen könnt. Tauscht euch mit „Gleichgesinnten“ aus, das hat mir sehr geholfen.
Vielen Dank für deine Zeit. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft.